„Das nächste Mal aber im Biwak!“
Die MRSV-Wanderrudertour 2022 nach Paris - ein Insider sagt, wie es wirklich war. Seinen Namen haben wir zu seinem persönlichen Schutz anonymisiert.
Hallo G., Du bist ja gerade aus Paris zurückgekommen, siehst gut erholt aus!
G.: Ach ja? (reibt sich die Augen, gähnt ausgiebig und sackt in sich zusammen)
Okay, kommen wir zur Sache: Wie ist denn die Reise zustande gekommen?
Na, der Rolf hat ja einen Freund beim Cercle d’Aviron du Confluent, einem Ruderclub an der Seine in Andresy. Das ist ein Vorort von Paris. Einige der CAC-Mitglieder hatten den MRSV im Juni besucht und waren mit unseren Leuten beim Rudern auf dem Starnberger See. Von 31. August bis 4. September haben wir ihnen dann einen Gegenbesuch abgestattet.
Und der Plan war?
Der Plan war, dass wir mit dem CAC zwei Mal auf der Seine in Andresy rudern und dann als Höhepunkt an der Traversée de Paris teilnehmen, einem Ruder-Event.
Das klingt ja fantastisch, aber der Reihe nach: Wie wart Ihr denn untergebracht?
Ja, untergebracht waren wir auch.
Ja klar, ich meinte, WIE wart Ihr untergebracht?
(Richtet sich genervt auf) Wie würdest Du das denn nennen, wenn 24 Stunden am Tag der Verkehr direkt unter Deinem Hotelfenster vorbeirauscht und Du Dich fragst: Fährt der 44-Tonner jetzt durch das Schlafzimmer oder kommt er noch dran vorbei?
Aha, es war laut!
Genau, ein Riesenproblem, zumal mein Bettnachbar kein Oropax verwenden wollte. Die Fenster zu schließen war auch keine gute Option, denn dann bekam ich Erstickungsanfälle. Nicht zu reden von der Enge. Wir teilten uns ein französisches Doppelbett. Manche schätzten die Breite auf 140 cm, andere sagten, es seien eher 120 gewesen. Wenn sich mein Bettnachbar umdrehte, wurde ich seekrank, so hat die Matratze geschaukelt. (Anmerkung der Redaktion: Unser Informant neigt zu Larmoyanz und Übertreibung). Nach der ersten Nacht war für mich klar: Ein anderes Hotel muss her. Ich bin dann aber doch geblieben. Zum einen hatten mein Bettnachbar und ich einen guten Kompromiss gefunden – in der ersten Hälfte der Nacht ließen wir das Fenster offen und ich versuchte mit Hilfe von Oropax zu schlafen; in der zweiten machten wir das Fenster zu, und er war dran – zum anderen wollte ich bei unserer tollen Gruppe bleiben. Sie und das gute Frühstück haben mich jeden Morgen wieder aufgerichtet.
Was gab es denn?
Am ersten Tag typisch französisch: Baguette, Croissants, Marmelade und Butter. Dann haben ein paar von uns mit dem Gastwirt geredet. Ab dem zweiten Tag gab es zusätzlich Schinken, Käse, Müsli und Eier. Fand ich sehr nett von ihm.
Wie hat Euch das Rudern in Andresy gefallen?
Dazu muss man wissen, dass der CAC seine Boote auf einer etwa vier Kilometer langen und bewaldeten Insel mitten in der Seine liegen hat. Man lässt sich also mit einer kleinen Personenfähre auf die Insel bringen, trägt die Boote zum Wasser und fährt dann auf der Seite der Insel entlang, die für die Wassersportler reserviert ist; auf der anderen Seite fahren Frachtschiffe, Kreuzfahrtschiffe usw., die Ruderer dürfen da nicht hin. Das heißt, man rudert immer diesen einen vier Kilometer langen Seine-Arm auf und ab, betrachtet die Insel mit ihrem Grün, die Wasserlinsen am Ufer, dazwischen die Vögel; gegenüber gleitet der Quai de Seine von Andresy an einem vorbei, mit einigen sehr schönen Villen. Recht idyllisch, aber irgendwann hat man dann doch sein déjà vu. Zum Schluss hatten wir das Gefühl, die Fischreiher und Teichhühner persönlich zu kennen.
Was habt Ihr dann nach diesen Ausflügen gemacht?
Einmal gab es eine Weinprobe. Ich hatte Weine bis dahin im Wesentlichen in zwei Kategorien eingeteilt: schmeckt oder schmeckt nicht. Nun ging es plötzlich darum, sie in all ihren Aromen zu beschreiben. Bei mir hat das allerdings erst geklappt, als ich nicht mehr so analytisch vorging, sondern auf Assoziationen achtete, die beim Schnuppern und Verkosten auftauchten. Was soll ich sagen, plötzlich sah ich Pimentkörner vor meinem geistigen Auge, Buchenholzgeräuchertes, Eisenfeilspäne und eine muffige Umkleidekabine. Ich glaube, ich muss noch ein bisschen üben. Und nach dem zweiten Ruderausflug in Andresy waren wir damit beschäftigt, die Boote für den Transport nach Paris herzurichten.
Kein Sightseeing?
Doch, dafür waren ein ganzer Tag und ein Nachmittag reserviert. Constantia, Sabine und Maria hatten mit viel Engagement im Vorfeld sozusagen ein kleines Buffet zusammengestellt, an dem man sich bedienen konnte. Dementsprechend haben wir an diesen Tagen je nach Interessenslage Grüppchen gebildet. Zur Auswahl standen der Louvre, die Galerie Dior, die Sainte Chapelle, die Orangerie am Louvre und das
Institut du Monde Arabe. Ich hatte mir zunächst die Sainte Chapelle vorgenommen, und ich muss sagen, es lohnt sich – selbst wenn man schon etliche Kirchen gesehen hat. Sämtliche Fenster sind mit Glasmalereien bestückt, was ein fantastisches Licht im Kirchenschiff ergibt. Danach ging es weiter in die Orangerie, die zu einer Gemäldegalerie umfunktioniert wurde. Dort kommen vor allen Dingen Freunde des Impressionismus auf ihre Kosten. Abends bin ich dann mit zwei Schneck…, äh, mit Karina und Anke nach Saint Germain zum Schneckenessen. Das ist ein Ausgehviertel mit ganz viel Flair, wir waren völlig begeistert. Eine andere Gruppe ist ins Cafe Marly vornehm Essen gegangen und war dann noch oben auf dem Arc de Triumphe. Den Schilderungen und Bildern zufolge ebenfalls ein voller Erfolg.
Habt Ihr eigentlich auch Franzosen außerhalb des Clubs kennengelernt?
(Platzt empört heraus) Ja, die -Piep-, die hatte ein Tete-a-Tete mit einem Schiffer eingefädelt. Der lag mit seinem Frachtkahn vis-a-vis vom Hotel am Seine-Ufer. Los ging es wohl, als sie eines morgens leichtest bekleidet vor ihrem Fenster auf und ab ging und er das sah. Man muss sich das einmal vorstellen: Das Hotel hat einen roten Sockel, ist nachts rot beleuchtet und dann so was. Kein Wunder, dass der jeden Morgen über der Reling hing und Augen machte, so groß wie Auszogne (Anmerkung der Redaktion: tellerförmiges bayerisches Teiggebäck, auch Kirchweihnudeln genannt). Aber das war ja nicht alles, mit einem Gemüsehändler hatte sie auch was am Laufen.
Gut gut, erzähl doch bitte noch von der Traversée.
(Beruhigt sich wieder) Die ist, mit einem Wort, großartig. Start und Ziel war der Ruderverein Boulogne 92 im Westen von Paris. Von dort ging es auf der Seine Richtung Innenstadt bis zu den beiden Inseln im Zentrum, der Ile de la Cite – auf der auch die Notre-Dame steht – und der Ile Saint Louis. Die beiden haben wir umrundet und sind dann wieder auf dem selben Flussabschnitt wie auf dem Hinweg zurückgefahren. Dazwischen lagen 28 km und 33 Brücken. Der Rolf hat unter jeder Brücke gejodelt, ich finde, das ist eine kulturelle Aneignung und mir – einem Bayer – gegenüber überhaupt nicht woke.
In der Tat, unglaublich! Was waren für Dich die Höhepunkte?
Das war zum einen der Start in der Morgendämmerung. Es haben ja rund 250 Boote und 1300 Leute an der Regatta teilgenommen, die alle ins Wasser mussten. Ein herrliches Durcheinander, überall Geschrei, ineinander verhakte Skulls, Versuche, sich vom Pulk abzusetzen. Für die Steuerleute sicher ein ordentlicher Stress. Aber das Feld zog sich schon bald auseinander und man konnte sich auch auf die Umgebung konzentrieren, zumal die Behörden die Seine für ein paar Stunden für den öffentlichen Verkehr gesperrt hatten. Es fuhren also auch keine Frachter und Kreuzfahrtschiffe. Ein weiterer Höhepunkt war, als urplötzlich jemand vom Boot sagte, schaut doch mal links. Und dann stand der Eiffelturm in seiner ganzen Pracht gerade mal 150 m Luftlinie von uns entfernt. Aber eigentlich war die ganze Strecke sehr schön und wir hatten auch ideales Wetter.
Wie lange dauerte die Regatta denn?
Ich glaube, es waren so dreieinhalb oder vier Stunden. Es brauchte halt auch seine Zeit, bis man an den Stegen wieder aus dem Wasser kam, da gab es eine ordentliche Warteschlange. Das hat uns auch ein bisschen Kopfzerbrechen bereitet, denn mal eben anlanden und aufs Klo gehen ist während der ganzen Fahrt nicht möglich. Deshalb hat uns Rolf mit Taschen-WCs versorgt, dem Lady-Bag für die Frauen und dem Road-Bag für die Männer. Slogan: Wenn Müssen müssen zur Qual wird. Begeisterung und Nutzungsfrequenz tendierten allerdings gegen null, und es ist mir nicht gelungen, einen Erfahrungsbericht einzuholen.
Und, würdest Du die Reise anderen empfehlen?
Auf jeden Fall. Ich könnte mir auch vorstellen, an der Regatta nochmal teilzunehmen. Allerdings nicht mehr mit einer Unterkunft in besagtem Hotel. Da würde ich mich lieber im Biwak an die Kaimauer nageln.
Das Interview führte Günter Löffelmann
Danksagung
Ein herzliches Dankeschön an alle CAC-Mitglieder, die diese Reise mit ganz viel Engagement ermöglicht haben (insbesondere an Emmanuelle Salin), an Rolf für die Initiative, an Constantia, Sabine und Maria für die Organisation des Kulturprogramms, an Max für die Kassenführung und an alle von unserer Gruppe für eine tolle Zeit und die ausgesprochen nette Gesellschaft.
Stimmen
„Die Traversee war für mich ein unglaubliches Erlebnis. Diesen Moment vor dem Startschuss mit über 1000 Gleichgesinnten zu teilen. Alle klatschen voller Vorfreude im Sekundentakt gegen ihre Boote. Diesen Moment werde ich niemals vergessen. Es gibt Erlebnisse, die kann man nicht mal in Bildern festhalten. Da muss man dabei sein.“
- Claudia –
„Eine Rudertour, die sich nicht nur durch den Sport, sondern auch durch die Schönheit der Lokalität und das harmonische Beisammensein im Gedächtnis und im Herzen verankert."
- Maria -
„Das Besondere an der Traversée de Paris war für mich, die Stadt und die Menschen abseits vom Tourismus kennenzulernen. Die Freundschaft, die wir mit den RuderInnen aus unserem Partnerverein in Andresy haben, ist sehr berührend. Zur Traversée selbst: Den Sonnenaufgang an der Seine mit den vielen Booten zu beobachten und die Vorfreude alle Sportler zu spüren, das hat mich sehr gefangen genommen.“
- Regina -
„Beeindruckend ist allein schon die Menge an Ruderbooten, die gleichzeitig auf dem Wasser sind und die Durchfahrt durch Paris hat schon fast etwas Magisches."
- Constantia –
"Wenn ich jetzt die Fotos anschaue kann ich erst so richtig genießen wie toll es war, Teil dieser großartigen Veranstaltung gewesen sein. Dass es so viele begeisterte Ruderer gibt und Leute, die für sie ein so verrücktes Unterfangen regelmäßig auf die Beine stellen, finde ich sehr beeindruckend. Dass in unserem Verein eine unerschrockene Gruppe in bester Gemeinschaft eine tolle Tour daraus macht, spricht für unsere Vereinskultur. Und dass unsere französischen Freunde uns zu dieser aufwändigen Tour so selbstverständlich und auf ihre Kosten mitgenommen haben, ist wirklich großartig.“
- Anke -
„Was mir besonders aufgefallen ist, war die perfekte Organisation des Veranstalters. Zahlreiche, gut abgesprochene Helfer beim Einsetzen der Boote, die eskortierenden Sicherheitsboote über die gesamte Ruder-Strecke, rasches ebenfalls genial organisiertes Herausholen der zahllosen Ruderboote. Spannend empfand ich den Start, da nach dem dicht gedrängten Warten die Seine doch für alle Boote ausreichend Platz bot. Dann das Erscheinen des Eifelturms und die weiteren Sehenswürdigkeiten (Louvre, Notre Dame, …), das alles bei angenehmen Temperaturen - tatsächlich ein herausragendes Erlebnis.“
- Karina -
Info
Reisezeit:
Von 31. August bis 4. September 2022
TeilnehmerInnen:
Rolf Louis, Günter Löffelmann, Maria Schweizer, Jessi Begue, Maximilian Eck, Inge Eck, Sabine Großkopf, Max Großkopf, Constantia Rosendorfer, Max Müller, Ursula Bayerlein, Manfred Bayerlein, Anke Wilhelms, Karina Wagner, Christiane Winckler, Claudia Hiesel, Regina Böck.
Anreise und Rückreise:
Mit dem ICE bis Stuttgart und anschließend nach Paris (ca. fünfeinhalb Stunden), danach mit allem Drum und Dran noch mal ein Stündchen mit Metro und Regionalbahn bis Andresy.
Im Web:
Andresy
www.andresy.com
Unterkunft Hotel O Barcaiolo
www.booking.com/hotel/fr/o-barcaiolo.de.html
Partner-Ruderclub Andresy CAC (Cercle d’Aviron Confluent)
www.aviron-andresy.com/
Kultur- und Gastroprogramm
www.louvre.fr
www.sainte-chapelle.fr
www.musee-orangerie.fr
www.imarabe.org
cafe-marly.com
Organisator der Traversée
www.boulogne92.fr